Die Entdeckung der Langsamkeit
Wer mich kennt, weiß, dass ich meistens äußerst effizient bin. Ich mache immer mehrere Dinge gleichzeitig und habe sämtliche Abläufe von alltäglichen Dingen perfektioniert, um möglichst viel in meinem Tag unterbringen zu können. Zuhause hetze ich oft von A nach B und bin äußerst genervt von Menschen, die mich mit ihrer langsamen Gehweise ausbremsen und meinen enggetakteten Zeitplan zum Einsturz bringen.
Auch hier auf der Reise hatte ich erst einmal Schwierigkeiten, mich zu entspannen. Für meinen ersten Tag in Mexiko hatte ich mir vorgenommen, NICHTS zu machen. Das endete darin, dass ich am und im Pool lag, ein halbes Buch las, im Supermarkt war, im Café saß, Sudokus löste und Tagebuch schrieb. Nun ja.
In Guatemala allerdings fiel mir auf, dass ich bereits deutlich langsamer gehe. Hetzte ich anfangs noch im Stechschritt zum nächsten Supermarkt, so schlendere ich nun. Und werde meinerseits von genervten Menschen überholt.
Und hier auf Utila in Honduras haben Raum und Zeit sowieso seine Bedeutung verloren. Nachdem ich schon länger nicht mehr wusste, welchen Wochentag wir haben, ist nun auch das Gefühl für das Datum weg. Ich weiß nur noch, ob ich heute tauche oder nicht. Und wenn ich nicht tauche, gehe ich an den Strand.
Ich kann mittlerweile auch ohne Probleme zwei Stunden in einer Hängematte liegen und vor mich hingucken. Oder einfach eine Straße auf und abschlendern. Das ist total toll, hat aber zum Nachteil, dass ich nicht mehr viel auf die Reihe kriege. Die wenigen „Orga“-Aufgaben, die ich habe, verschiebe ich immer weiter nach hinten.
Und ich sorge in meiner Tauchschule für eine Sensation, als ich zu spät zum Nacht-Tauchgang komme. Beziehungsweise komme ich erst einmal gar nicht, sondern werde nach längerer Suche in einer Hängematte gefunden. „The German is late“ schallt es daraufhin über den Strand und ich springe aus meinem Domizil und rase zum Boot. Zuspätkommen war bisher kein Teil meines Lebens, ich bin immer überpünktlich. Aber irgendwie habe ich die Zeit übersehen und mich gerade bestens mit anderen Tauchern unterhalten.
Trotzdem: Ich finde die Entwicklung super. Aktuell habe ich kaum Verpflichtungen, sondern kann tun und lassen, was ich will. Ich mache jeden Tag genau das, worauf ich Lust habe. Und stelle fest, der Tag geht trotzdem ganz gut gefüllt rum. Ich weiß gar nicht, wie ich da wieder „Arbeit“ unterbringen soll.
Ich tauche, chille und spiele neuerdings Ukulele. Wobei „spielen“ vielleicht zu optimistisch ist. Ich klimpere auf einer Ukulele rum und übe Akkorde und erste Lieder. Insgesamt drei Stunden sitze ich an einem Nachmittag auf dem Sofa und übe vor mich hin. Und finde es großartig.
Zuhause hätte ich mir für so etwas nie Zeit genommen. Ich mag mein neues Leben. Und es ist gut, dass es auf dieser Insel keine Ukulele zu kaufen gibt. Die Yogamatte aus Guatemala reicht bereits als Ergänzung meines Gepäcks.