Lockdown in Honduras
Gestrandet auf Roatan, eine der Bay Islands vor der Küste Honduras, eigentlich mit einem Rückflugticket aus Costa Rica über Atlanta nach München am 21. April ausgestattet. Obviously not gonna happen! Denn die Grenzen der Länder sind dicht. Ich bin also in Honduras und das Land ist im Lockdown. Zwar kommen nun leere Flugzeuge (Bedingung der honduranischen Regierung, weil keiner einreisen darf) an, um gestrandete Touristen abzuholen, doch erstmal nur kanadische Sonderflüge bzw United Airlines Flüge, die aber nur Reisende mitnehmen, die bereits ein Ticket haben.
Ich bin weder Kanadier noch Inhaber eines solchen Tickets und habe daher keine Chance, auf einen der Flüge zu kommen. Deshalb bin ich mittlerweile mit nur noch vier anderen Europäern alleine in unserem Hostel. Die anderen 14 aus unserer Lockdownzeit sind bereits zuhause in Quarantäne oder zumindest auf dem Weg dahin.
Mich erreicht eine Mail der deutschen Botschaft in Honduras mit der Information, dass die tschechische Botschaft in Mexiko 80 Tschechen aus Roatan nach Cancun ausfliegt und noch 40 Plätze frei sind. Es gibt von dort allerdings keinen Weiterflug und ich muss mich in der nächsten halben Stunde entscheiden, da der Flug heute geht. Ich lese die Email erst nach der halben Stunde, damit hat sich das Thema erledigt.
Für Erheiterung, aber auch Ratlosigkeit sorgt in der Whatsappgruppe „Honduras to Europe“ ein Post eines Herrn mit dem seriösen Namen „Papa Mike“: „Ich bin der heutige Chef vom Dienst im Tower des Flughafen von Roatan. Weiß jemand, welches Flugzeug da gerade kommt?“ Leider konnten wir ihm alle nicht weiterhelfen.
In den diversen Whatsappgruppen tummelt sich auch ein Herr namens Jesus, der einen Charterflug von Roatan über San Pedro Sula (Festland Honduras) und London nach Prag anbietet. Die Maschine sei eine Aerobell mit Zulassung in Jordanien und Standort in Costa Rica, das Ticket kostet 1.000 Euro. Hmh, klingt mir irgendwie zu strange. Der Flug kommt letztendlich auch nicht zustande.
Langsam überlege ich, ob ich einfach überkritisch bin und zu viele Möglichkeiten verstreichen lasse. Aber ich höre einfach weiter auf mein Bauchgefühl. Da ich alleine unterwegs bin kann ich mich auch mit keinem beraten. Ich bin in charge! Aber das hat auf meinen bisherigen Reisen ja auch immer gut geklappt.
Dann kommt eine weitere Email der deutschen Botschaft in Honduras. Nachdem die Krisenvorsorgeliste Elefand bei mir ja nicht funktioniert, habe ich vor einer Woche bereits Kontakt mit der Botschaft aufgenommen, damit wenigstens einer weiß, dass ich hier bin. Seitdem bin ich in ihrem Verteiler und bekomme zuverlässig alle Informationen – im Gegensatz zu anderen Deutschen, die ich nun meinerseits informiere.
Laut ihrer Email ist Spanien offenbar dran, ein Flugzeug für uns Europäer in Honduras zu organisieren. Da sich das aber hinzieht ist nun auch Deutschland dabei, Optionen zu prüfen. Immerhin tut sich nun etwas. Doch offenbar ist die Zusammenarbeit nicht ganz erfolgreich, denn dann fliegen auch die Franzosen und Spanier aus. Ohne uns Deutschen.
Und schon sind wir nur noch zu zweit im Hostel: Ein Franzose, der demnächst mit einem Segelboot nach Französisch Polynesien fährt. Und ich. Glücklicherweise ist der Franzose Koch und zaubert jeden Abend für uns ein tolles Dinner. Da er tagsüber nicht weiss, was er mit sich anfangen soll, übernehme ich unsere Tagesplanung. Arbeitsteilung at its best. Jeder tut das, was er am besten kann 🙂
Ich nutze zudem die Zeit und organisiere einen Videochat für eine Ukulele-Jamsession mit Karen, der australischen Zirkusartistin, die ich im mexikanischen Tulum kennengelernt habe. Sie organisiert Zirkusprojekte für benachteiligte Kinder in Mexico City und hat sich in Selbstquarantäne begeben, nachdem Mexiko es nicht auf die Reihe kriegt, Maßnahmen vorzugeben.
Es ist total schön, wenn Reisebekanntschaften zu guten Freunden werden. Durch meine ganzen Reisen habe ich mittlerweile in vielen Ländern Freunde und ich freue mich immer riesig, von ihnen zu hören. Während der Lockdownzeit telefoniere ich deshalb nicht nur mit meinen Freunden daheim, sondern mache Videocalls mit Mexiko, Guatemala, Chile und China und sende Sprachnachrichten in die Niederlande und nach Australien.
An Tag 9 im Lockdown bekomme ich verbotenerweise Besuch. Ein deutsches Paar, das ich über die von mir gegründete Whatsappgruppe „Germans in Honduras“ kennengelernt habe und die in der Nähe wohnen, kommt auf eine Spielerunde vorbei. Im Gepäck haben sie das Dokument, das wir Deutsche für den Rückholflug mitbringen müssen. Ich habe keinen Drucker, deshalb haben sie es für mich mit ausgedruckt. Total nett.
An Tag 10 wandern der Franzose und ich zu einem abgelegenen Strand. Sollten wir eigentlich nicht. 90 Minuten laufen wir durch die Hitze, bis wir dort sind. Und wir sind komplett alleine. Wir schwimmen, schnorcheln und öffnen mit Etiennes Profiküchenmesser Kokosnüsse.
Plötzlich tritt ein Einheimischer mit einer Machete aus dem Dschungel. Ohne miteinander zu sprechen, haben Etienne und ich beide ein ungutes Gefühl. Etienne zieht sein Messer aus der Tasche und ich hebe mehr oder weniger subtil ein Stück Treibholz auf. Der Herr verschwindet wieder. Hinterher erfahren wir, dass es an diesem Strandabschnitt zuletzt wohl zu Überfällen durch Männer mit Macheten gekommen ist. Vielleicht haben wir richtig gehandelt.
An Tag 11 besteigen wir den Berg (eigentlich Hügel) neben unserem Hostel. Aufgrund des Dschungels kommen wir nicht ganz bis zum Gipfel und Ermangelung an Flaggen, hisse ich eine Einkaufstüte. Man muss mit dem arbeiten, was da ist!
Wieder zurück im Hostel habe ich eine Email von der deutschen Botschaft: Ein Rückholflug scheint sich zu konkretisieren und ist nun für den 2. April angesetzt. Allerdings vom Festland aus. Parallel erhalte ich per Mail die Möglichkeit, an dem Zubringerflug der Schweden teilzunehmen. Allerdings muss ich mich sofort entscheiden. Es gibt nur noch zehn Plätze und wer zuerst kommt, mahlt zuerst. Ich sage einfach mal zu. Die Kosten für den Zubringer (234 USD) muss ich ebenso tragen wie für die Rückholaktion an sich (500-700 Euro).
Nachvollziehbar, aber in Kombination mit all den gecancelten Flügen und den gecancelten drei Wochen Yogacamp, wo noch fraglich ist, ob ich das Geld zurückbekomme, schon knackig. Dadurch verliere ich noch einmal 2.700 Euro. Das tut schon weh. Schließlich habe ich insgesamt fünf Jahre für mein Auslandsjahr gespart. Aber jammern hilft nichts und anderen geht es deutlich schlechter als mir.
Insgesamt aber verbringe ich den Lockdown und die herausfordernde Situation in hochoptimistischer Grundstimmung und mit viel Dankbarkeit. Was an den Nerven zerrt, sind diese Adhoc-Entscheidungen, die man trotz unvollständiger Informationen ständig treffen muss und die ständige Erreichbarkeit. Sollte ich irgendwann mal tatsächlich zuhause sein, sperre ich mein Handy eine Woche in den Schrank und treffe erstmal keine Entscheidungen mehr 🙂
An Tag 13 muss ich der Botschaft noch einmal bestätigen, dass ich nach wie vor auf den Flug möchte. Insgesamt hat der Flieger 250 Plätze, die Deutschen haben Vorrang, der Rest wird mit weiteren Europäern aufgefüllt. Für jeden Ausreisenden muss die Botschaft bei der honduranischen Regierung einen Passierschein (erinnert mich an Asterix und den Passierschein A38) beantragen, damit wir überhaupt bis zum Flughafen kommen. Schließlich sind wir alle auf zwei Inseln sowie 4 Städte in ganz Honduras verstreut. Bei manchen wird ein Transport organisiert, andere müssen selbst herausfinden, wie sie zum Abflugort gelangen.
An Tag 14 habe ich einen ziemlichen Tiefpunkt, als ich realisiere, dass ich von einem Lockdown in den nächsten wechseln werde. Nach drei Wochen mehr oder weniger alleine in einem Hostel in Honduras werde ich die nächsten drei Wochen alleine in meiner Wohnung in München verbringen, statt wie sonst nach einer langen Reise meine Freunde und Familie zu treffen. Ich habe die Schnauze voll! Aber auch aus diesem Sumpf ziehe ich mit mit Unterstützung meiner Freunde wieder raus. Hilft ja nix! Abends fällt auf der ganzen Insel der Strom für paar Stunden aus und ich koche mit Stirnlampe im Dunkeln mein Abendessen. Bring it on – so schnell gebe ich nicht auf!
Honduras startet derweil eine neue Regelung, dass je nach Zahl am Ende der Personalausweisnummer ein bestimmter Tag erlaubt ist, um das Haus zu verlassen und z.B. zum Supermarkt zu gehen. Montags dürfen 1,2,3 raus, Mittwoch 4,5,6, Freitag 7,8,9,0, an den anderen Tagen keiner. Hocheuphorisch gehe ich mit meinem Personalausweis (2!!!) gleich mal in den Supermarkt. Ich brauche nichts, aber alleine wieder dort hineinzudürfen ist ein Highlight. Am Eingang steht wieder der Herr mit Maschinengewehr, der nur Menschen mit Mundschutz reinlässt. Mittlerweile habe ich auch so ein Ding, da es die Voraussetzung für den deutschen Rückholflug ist.
Nachmittags sammeln Etienne und ich Holz im Dschungel, machen ein Lagerfeuer (wir sind hier ofen-los) und backen unser eigenes Brot. Er hat dafür vor paar Tagen einen Sauerteig in der Küche angesetzt. Langsam komme ich mir vor wie ein Steinzeit-Mensch.
An Tag 15 muss ich zum Flughafen fahren, weil man den schwedischen Zubringerflug nur dort persönlich bezahlen kann. Dafür existiert wieder eine neue Whatsappgruppe. Weil ein paar Leute abgesprungen sind, kostet der Flug jetzt 250 US-Dollar, aber man hat ja keine Alternative.
In zwei Tagen geht es also nun tatsächlich los – nach Hause. Ich bin gespannt, was mich auf der Rückreise und daheim alles erwartet. To be continued…