Weniger ist mehr

Weniger ist mehr

Liest man ja immer mal wieder irgendwo. Früher fand ich das etwas dubios. Ich wollte nicht weniger machen, sondern immer mehr. Und am besten alles gleichzeitig. Denn ich bin ja ein vielseitig interessierter Mensch mit zahlreichen Hobbies und noch mehr Ideen.

Nachdem ich aber vergangenen Herbst in ein Burnout geschlittert bin, fing ich dann doch mal an, umzudenken und meinen Alltag zu hinterfragen. Spaß machte es mir schon länger nicht mehr, ständig von A nach B zu hetzen und dabei schon an C zu denken. In den letzten Jahren war ich im Schnitt durch berufliche und private Reisen rund neun Tage pro Monat nicht zuhause. Neun Jahre lang.

Trotzdem lief ich ehrenamtlich bei Achilles Germany als Guide für Menschen mit Behinderung, betreute dort auch die Facebookseite und half als Volunteer beim jährlichen Wettlauf, war am Wochenende öfters wandern oder habe Radtouren gemacht, schaute ab und zu im Karatetraining vorbei, war Teil eines Buchclubs, las circa 100 Bücher pro Jahr (ja, auch dafür habe ich eine Liste), besuchte regelmäßig meine Nichte und meinen Neffen, traf mich mit meinen Freunden, war in der Kirche, lernte Spanisch und sagte überhaupt zu fast jedem Vorschlag ja. Das erzähle ich nicht, weil mich das besonders großartig macht, sondern eigentlich etwas bescheuert.

Denn irgendwann hatte ich für all das keine Energie mehr. Deshalb habe ich mir für 2020 vorgenommen: Weniger ist mehr. Und auch wenn meine Reise gerade unterbrochen ist, übe ich das weiterhin. Es ist sogar eine größere Herausforderung, dies in meinem gewohnten Umfeld hier in München umzusetzen als auf meiner Reise. Im Ausland habe ich keine Routinen und Gewohnheiten, keine Freunde und Familie, keine Vereine und Clubs. Dort ist es für mich viel leichter, mir selbst Gutes zu tun, mal abzuschalten und alle Fünfe gerade sein zu lassen.

In München ist das eine größere Herausforderung.

Aktivitäten:

Jetzt, wo ich arbeitslos bin, denkt jeder, ich hätte massenhaft Zeit. So fing es auch an, inzwischen sind meine Tage und Wochen aber gut gefüllt. Trotzdem gelingt mir aktuell der Balanceakt zwischen Genug und Zuviel. Zwischen: „Ich verplempere nicht meine Zeit und fühle mich total unproduktiv“ und „Es ist zu stressig“. Ich gehe für meine Eltern einkaufen, habe mit dem Laufen angefangen, übe täglich Spanisch und Ukulele, mache ab und zu Online-Karate, habe schon ein paar Theorie-Tauchkurse absolviert, klappere Ärzte ab (wer weiß, wann ich wieder in Deutschland eine Krankenversicherung habe), lese, treffe mich mit ein paar Freunden und passe einen Tag pro Woche auf meine Nichte und meinen Neffen auf, damit meine Schwägerin in dem Wahnsinn zwischen Arbeit, Haushalt und Homeschooling mal durchatmen kann.

Daher hat sich nun mein Repertoire an Fähigkeiten um Hulahoop, Kartoffeldruck und „als Pferd durch den Garten galoppieren“ erweitert. An manchen Tagen fühle ich mich wie Mary Poppins. Mittlerweile auch äußerlich. Tatsächlich schlich ich letztens mit einem schwarzen Schirm durch den Garten meiner Schwägerin. Nicht um irgendwo hinzufliegen. Mein vierjähriger Neffe und ich spielten Geheimagent und der Schirm war mir als Waffe zugeteilt worden.

Auch wenn ich nebenher nicht noch 40 oder mehr Stunden arbeite oder durch Deutschland fliege: Ich sitze definitiv nicht zuhause und drehe Däumchen. Aber dieses Pensum ist aktuell angenehm. Ich tue nicht alles, was ich tun könnte, sondern wähle bewusst aus, was ich tun möchte. Und das tut unglaublich gut!

Besitz:

Während ich im Dezember mein Hab und Gut in Kisten verpackt und in den Keller geschleppt habe, habe ich wirklich im großen Stil aussortiert, verschenkt und weggeworfen. Zwar nicht ganz so radikal, wie ich es nun tun würde, aber doch mit sehr deutlichem Erfolg in Form mehrerer Müllsäcke. Inzwischen lebe ich seit neun Wochen aus den drei obersten Kisten meines Kellers, die ich taktisch klug gepackt habe: Eine Kiste mit Sportklamotten und -utensilien, eine Kiste mit normalen Klamotten und eine Kiste mit Stuff, den man halt so braucht. Und mir fehlt: Nichts! Ich frage mich mittlerweile, was das Zeug in all den anderen Kisten ist, von dem ich offenbar dachte, ich könnte ohne es nicht überleben.

Nach dem Ausmisten habe ich mich in der Tat leichter gefühlt. Je weniger man besitzt, desto freier ist man. Desto leichter kann man umziehen, seine Zelte abbrechen und woanders neu anfangen. Nicht, dass das jeden reizt. Aber ich finde es aktuell sehr schön zu wissen, dass mein Besitz überschaubar ist. Und ich strebe nicht nach mehr Besitz. Davon gerne etwas weniger. Ich strebe nach mehr Erlebnissen und Erfahrungen, die zu Erinnerungen werden. Ich möchte in den nächsten Jahren mobil sein und schauen, wohin es mich verschlägt. Und da ist Besitz nur Ballast.

Haare:

Der Punkt ist eher als Spaß gemeint, aber wie manche von Euch mitbekommen haben, habe ich eine neue Frisur 🙂 Die Idee entstand während meiner Reise, als es mir völlig wurscht war, was andere Menschen von mir halten oder denken. Als ich dann schwungvoll in München zum Friseur wollte, hatten die wegen Corona alle zu – und während der Wartezeit schwand ein bisschen mein Mut. Doch meine Schwägerin machte glücklicherweise kurzen Prozess und rasierte mir einen Sidecut. Es ist vielleicht nicht schöner als vorher, aber auf jeden Fall anders. Und anders zu sein ist dieses Jahr ja mein Ziel 🙂

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