„Arbeitest du jetzt mehr als davor?“
Diese Frage wurde mir gestellt, als ich als Alumna (?) meiner Ausbildung zum Coach und zur Trainerin im Sommer den aktuellen Kurs besuchte und von meinem Werdegang nach dem Abschluss im April 2021 erzählte. Ich berichtete von der Entscheidung, mich selbstständig zu machen, von meinem Start im September 2021, den bürokratischen Hürden, finanziellen Unsicherheiten, fachlichen Weiterentwicklungen und kontinuierlichen Sprüngen ins Wasser. Am Anfang habe ich natürlich jeden Job angenommen, der mir angeboten wurde. Auch wenn ich bei der Entscheidung gar nicht wusste, ob ich das überhaupt kann. Aber wie es im Leben eben so ist: Man kann so viel mehr, als man oft denkt.
Ein Jahr lang coachte ich für zwei Bildungsträger Langzeit-Arbeitslose im ALG 2 Bezug. Hier ist das Ziel vorrangig oft gar nicht, Bewerbungen zu schreiben und einen Job zu finden, sondern Hürden und Ängste zu beseitigen, um überhaupt mit dem Bewerbungsprozess beginnen zu können.
Außerdem leitete ich eine Workshopgruppe von Jugendlichen, skriptete Texte für Bewegungsvideos für Kinder, textete Artikel für ein Stiftungsmagazin, führte digitale Gesundheitstrainings zu den Themen Schlaf und Ergonomie durch, startete einen Podcast für Jugendliche und moderierte eine Veranstaltung im Mathäser Kino vor 700 Schüler*innen.
Meine Erkenntnisse in dieser Zeit:
- Manchmal muss man zeitweise Jobs übernehmen, die noch nicht auf die langfristige Vision einzahlen, um erstmal finanziell über die Runden zu kommen.
- Nach und nach setze ich nun aber mein Portfolio so zusammen, wie ich es haben möchte. Dadurch habe ich bei manchen Jobs nun erst einmal auf die Pausentaste gedrückt und die Anzahl meiner Jobs reduziert.
- Je selbstbestimmter ich arbeiten kann, desto besser tut es mir. Vor allem mental. Termine sind absolut okay, solange ich nicht die ganze Zeit durchgetaktet bin. Dann fühle ich mich fremdbestimmt und werde gestresst.
- Ich möchte nicht ständig neu akquirieren. Mein Sicherheitsmännchen ist happy, wenn ich mehrmonatige Aufträge habe, die mir eine gewisse finanzielle Stabilität ermöglichen.
Und nun zu der Eingangsfrage: Arbeite ich mehr als davor in meinem Angestelltenverhältnis? Damals hatte ich enorm viele Überstunden, die hauptsächlich aus der Unmenge an Geschäftsreisen resultierten. Dies fällt aktuell weg und darüber bin ich sehr froh.
Auch jetzt gibt es Wochen, in denen trotz sorgfältiger Planung alles auf einmal stattfindet und die sehr intensiv sind. Dann arbeite ich auch mehr als 40 Stunden. Ich arbeite auch jetzt abends und am Wochenende – aber nicht weil ich muss, sondern weil ich will. Weil ich mal an einem Dienstag meine beste Freundin und ihr Baby besuche, zwischendurch mal im Cafe oder Donnerstagsvormittags im Whirlpool sitze. Ich habe nun die Freiheit (nicht jeden Tag, aber oft), nicht funktionieren zu müssen, sondern zu gucken, wie es mir geht und entsprechend mein Tagespensum zu planen.
Und vor allem: Ich wirtschafte in meine eigene Tasche und trage dazu bei, dass meine eigene Vision Realität wird. Das ist ein großer Motivationsfaktor. Ich kann selbstbestimmter agieren und mir den Rahmen für meine Arbeit (noch nicht ganz, aber zunehmend) so bauen, wie ich es mir vorstelle.
Aktuell sitze ich zum Beispiel in einem AirBnB im Allgäu und arbeite von hier aus mit Blick auf den Wald und ein grasendes Pferd. Heute Morgen bin ich bei Sonnenaufgang durch die Felder zum Dorfbäcker spaziert, der hinter dem winzigen Verkaufsraum seine Backstube hat und frisch produziert, statt gefrorene Teigrohlinge aufzubacken. Hier lebt noch das Handwerk. Beschwingt und begeistert bin ich mit meiner Tüte mit duftenden und warmen Brezen wieder zurückmarschiert und habe an meinem Holztisch gefrühstückt, bevor ich den Laptop aufgeklappt und Emails beantwortet habe.
Ich merke auch, wie gut mir so ein Tapetenwechsel tut. Hier sprudele ich direkt vor Kreativität, weil ich nicht so in meine To Do Listen und mein daily business eingebunden bin. Manchmal kommen mir die besten Ideen beim Spaziergang durch den Wald – oder wie letztens, als ich eine Stunde zu einem Cafe gewandert bin. Dabei habe ich ein Konzept für ein tolles neues Projekt erdacht, dass ich dann abends runtergeschrieben habe.
Deshalb: Von den Geschäftsreisen abgesehen arbeite ich vielleicht gar nicht weniger. Aber es fühlt sich weniger wie Arbeit an. Und das ist nach einem Jahr Selbstständigkeit doch ein schönes Fazit!
Ein Gedanke zu „„Arbeitest du jetzt mehr als davor?““