Ode ans Radfahren!

Dass ich die mal schreibe, hat wohl auch keiner gedacht. Aber von vorn: Als ich vorletzten Herbst in meinem Freundeskreis verkündete, dass ich mir nun in den Kopf gesetzt habe, als absolute Ausdauernull mit Triathlon beginnen zu wollen, wandte eine Freundin zu Recht ein: „Aber du hasst Radfahren!“ Nunja, ganz unrecht hatte sie nicht. Zwar bin ich immer jeden Tag die 2km one way zu meinem Gymnasium geradelt und später die 3,5 km one way zu meiner Arbeit, aber Radtouren habe ich keine gemacht. Ich erinnere mich, dass ich im Alter von 10 Jahren mit meiner Mutter einmal 50km um den Starnberger See geradelt bin. An weitere Touren mit meinen Eltern kann ich mich aber nicht erinnern – oder ich habe sie verdrängt. Ich selbst bin ca zweimal im Jahr die 50 km zum Starnberger See und zurückgeradelt, allerdings mit wenig Enthusiasmus, denn: Es war so anstrengend. Und deshalb mochte ich es auch nicht.
Daher auch mein vielversprechender Lösungsansatz, als meine Triathlon-Idee aufkam: Ich kaufe mir erstmal ein neues Rad, mit dem Radfahren flutscht. Gesagt, getan. Ich stiefelte zu Rabe Bikes und erwarb ein Gravel-Bike, denn ich war mir sicher: Auf Asphaltfahren macht keinen Spaß, ich will mitten in der Natur graveln.
Erkenntnis Nummer 1: Ich gravel überhaupt nicht (viel zu anstrengend), sondern rolle am liebsten und inzwischen ausschließlich auf Asphalt entlang – von daher wäre ein Rennrad auch keine falsche Wahl gewesen. Aber das konnte ja keiner ahnen. Ich muss also irgendwann noch ein Rad kaufen (ich habe mir auch sagen lassen, dass man – einmal vom Radfieber gepackt – sowieso immer einen Grund sucht, ein neues Rad zu kaufen). Und Erkenntnis Nummer 2: Das Radfahren ist auch mit meinem tollen Gravelbike anstrengend. Es liegt nämlich überraschenderweise gar nicht am Rad, sondern an mir und meinem Fitnesszustand.
Deshalb waren die ersten Radtouren etwas frustrierend, als ich mit 17 kmh durch die Gegend rollte und nur flache Strecken fahren konnte. Denn, Erkenntnis Nummer 3: Ich muss bergauf weinen. Das mutet etwas seltsam an, vor allem für meine Radbegleitungen, aber irgendwas macht dieses Bergauf-Fahren mit mir. Wenn ich mich so anstrenge und an mein Limit gehe, dann muss das raus und das führt offenbar aktuell bei mir dazu, dass ich auf dem „Gipfel“ oft stehenbleibe und anfange zu weinen. Sehr zur Irritation aller anderen. Aber nach zwei Minuten geht es mir wieder gut – zumindest mental, denn körperlich erhole ich mich leider nicht so schnell – und ich fahre mit meinen Puddingbeinen weiter.

Brauchte ich anfangs noch Anreize, um überhaupt loszuradeln, so fängt mir das Radeln tatsächlich langsam an, um des „Radelnwillens“ Spaß zu machen. Ist auch besser für Geldbeutel und Figur, denn Anreiz Nummer 1 war, dass ich als Leseratte und Bücherwurm nur ein neues Buch kaufen durfte, wenn ich 40 km geradelt war. Anreiz Nummer 2 war, dass ich nur auf einer 40km Radtour Kuchen/Eis/Gebäck essen durfte und nicht mehr zuhause auf dem Sofa. Das führte dazu, dass die Zahl meiner geradelten Kilometer sprunghaft anstieg.
Inzwischen muss ich aber zugeben, dass ich gerne radel. Zwar braucht mein Schweinehund nach wie vor einen Kick, damit ich losstarte (und ich radle ausschließlich nur bei gutem Wetter – ich habe es mental noch nicht geschafft, bei Regen loszufahren – Tipps werden hier gerne entgegengenommen), aber wenn ich unterwegs bin, genieße ich es sehr, von Dorf zu Dorf zu radeln, neue Cafes mit leckerem Kuchen zu entdecken und auch ein bisschen Sightseeing zu machen.
Wesentlich schneller bin ich noch nicht geworden. Wenn ich jetzt meine Radtouren mit über 20kmh schaffe, bin ich schon happy. Von den sportlichen Rennradgirls, die mit 35 kmh an mir vorbeiziehen, bin ich noch weit entfernt, aber ich tröste mich immer mit dem Gedanken, dass ich eben einfach noch ganz viel Entwicklungspotential habe.
Fun Fact: Bei meinem 2. Triathlon meines Lebens wurde ich übrigens disqualifiziert (habe ich aber erst danach auf der Ergebnisliste gesehen. Falls jemand während des Rennens versucht hat, mich rauszunehmen, ist mir das offenbar entgangen), weil ich – ACHTUNG: beim Radfahren jemanden rechts überholt habe. In der Tat ist das regelwidrig und wird bestraft, das ist auch völlig okay und legitim, allerdings überhole ich ja nie jemanden. Dafür bin ich viel zu langsam. Im Gegenteil: Ich werde ständig überholt. Daher rätsel ich noch heute, Monate später, wie dieses Ereignis zustande kam. Ich kann mich nach wie vor nicht an einen Moment erinnern, indem ich jemanden überholt habe.
Übrigens war ich passiv schon immer Rad-Fan. Ich war mit 10 Jahren der größte Tour de France Fan aller Zeiten, habe das Tour Magazin abonniert, Streckenprofile abgezeichnet, Startlisten geführt und mir alles Wissenswerte zu den Fahrern notiert, da mein Berufsziel damals war, Herbert Watterott und Hagen Boßdorf abzulösen und Kommentatorin der Tour de France zu werden. Ich bin quasi mit Rudi Altig und Jürgen Emig in meinem Wohnzimmer großgeworden und habe manchmal den Ton vom Fernseher ausgeschalten und selbst mitkommentiert. Deshalb bin ich auch so schlecht im Radfahren: Ich war im Sommer nie draußen, sondern immer vor dem Fernseher.
Aber das hat sich ja nun geändert – wohin meine Radreise noch führt, lässt sich nicht absehen, aber ich habe mittlerweile den Meilenstein der 100km-Tour erreicht, indem ich an einem „Bikepacking“-Wochenende, oder „Overnighter“, wie der versierte Radfahrer auch sagt, 2x 120 km mit jeweils 1.000 Höhenmeter geschafft habe. Geweint habe ich auf der Tour nur einmal, als es zu dem idyllischen Ort Rottenbuch und seinem Kloster raufging. Das war etwas unangenehm, weil die Bewohner*innen zur Feier des Geburtstages der Romantischen Straße einen Empfang vorbereitet haben und ich zur Begrüßung erst einmal geweint habe. Allerdings war der Empfang auch nicht für uns gedacht, sondern für eine Gruppe an Radfahrer*innen, in die wir uns aber so nahtlos integriert haben, dass wir am Ende auch für das Gemeindeblatt abgelichtet wurden.

Aber ich bin begeistert, dass ich so eine Tour nun geschafft habe und das lässt ja hoffen für künftige Touren. Was mir am Radfahren gefällt, ist, dass sich mein Radius im Vergleich zum Wandern enorm vergrößert hat. Ich kann nun an einem Tag Orte abfahren, die per Pedes unerreichbar schienen. Und ich entdecke auf jeder Tour immer wieder etwas Neues: ein aus einem Baumstamm geschnitzten Maßkrug, eine Quassel-Warte-Bank, eine Abtei, von der ich zuvor noch nie gehört hatte, diverse Schlösser, ein Wasserrad aus Holz, Segelflugplätze, idyllische Bauernhöfe, interessante Straßennamen (z. B. Bessere Zukunft), Handwerksbetriebe und Orte aus meiner Kindheit, wie dem Ponyhof Pflaumdorf letztens auf einer Radrunde.
Übrigens, für alle Buchfans: Ich fand „Solange du schläfst“ von Petra Durst-Benning sehr interessant zu lesen, weil ich überhaupt nicht auf dem Schirm hatte, dass Frauen nicht immer Radfahren durften. Heutzutage ist das (glücklicherweise, zumindest in unseren Breiten) total selbstverständlich. Doch hat eine schnelle Internetrecherche ergeben, dass es bis ins 20. Jahrhundert als unschicklich galt, als Frau radzufahren. Total spannendes Thema. Daher auch der Aufruf: Wer gute Bücher rund ums Radfahren kennt, bitte Tipps an mich. Auf meinem zu lesenden Bücherstapel liegt auch noch „Half Man, Half Bike“ über die belgische Radlegende Eddy Merckx bereit.
Ach, und mein absolutes Lieblingsbuch ist übrigens „Tour de France“ von Hans Blickensdörfer. Toller Reportagestil, der meine Liebe zum Journalismus geweckt hat. Ganz große Empfehlung meinerseits!