Mit dem Rucksack durch Indien
Eine meiner krassesten Reisen war Indien. Aber es ist gar nicht so einfach, Indien zu beschreiben. Indien muss man erleben. Es ist das intensivste Land, das ich besucht habe, denn ich habe nirgendwo anders in drei Wochen so viel erlebt wie dort. Es war aber auch das mühsamste und anstrengendste Land, das ich bereist habe.
Und ich muss gestehen: Ich habe Indien erst zu schätzen gelernt, als ich bereits im nächsten Land war. Indien ist erst im Nachhinein toll. Währenddessen war ich viel zu sehr damit beschäftigt, überhaupt durch das Land zu kommen, mich selbst immer wieder aufzubauen und zu ermutigen und all das zu verarbeiten, was ich dort gesehen und erlebt habe.
Heiß, laut & staubig
Ich war davor schon in Ländern wie Syrien alleine mit meinem Rucksack unterwegs, aber Indien ist einfach noch einmal eine andere Hausnummer.
Warum? Die Kombination aus allen Sinneseindrücken ist irgendwie einzigartig: 40 Grad Hitze, extrem hohe Luftfeuchtigkeit (kaum stieg ich aus der Dusche, hätte ich mich schon wieder drunterstellen können), Lärm (knatternde Rikschas) und die visuellen Eindrücke (Tshirts und Pappkartons fressende Kühe; Menschen, die auf Betten am Straßenrand leben).
Das gepaart mit meiner low-Budget-Reisemethode war unglaublich anstrengend. Ich schlief in Hostelzimmern, die so groß waren wie mein Bett (aber auch Harry Potter hat in einem Wandschrank gewohnt), verbrachte 12 bis 17 Stunden pro Nacht in Zügen, um von einer Stadt in die nächste zu kommen und versuchte anfangs, mir die Orte zu erlaufen statt ein Rikscha zu nehmen. Das gab ich schnell auf.
Motorrad, Rikscha, Kamel & Elefant
Zum einen schiebt sich neben einem Motorrad, einem Rikscha und einem Kamel auch immer mal wieder ein Elefant auf der Straße an einem vorbei, zum anderen sind allein reisende blonde Frauen dann offenbar doch so rar, dass man ständig beobachtet wird.
Rikschas fuhren näher an mir vorbei, um mich besser sehen zu können. Menschen stiegen aus Autos aus, um sich mit mir zu unterhalten und überall wurde ich fotografiert.
Und als ich einmal mitten in der Nacht drei Stunden auf einen verspäteten Zug warten musste und mich solange auf den Bahnsteig setzte, saß kurz darauf eine Handvoll Inder in einem Kreis um mich herum und guckte mich an. Drei Stunden lang. Sehr gewöhnungsbedürftig.
Auf einer meiner nächtlichen Zugfahrten bin ich aufgewacht, weil mich ein Inder betatschte. Den motzte ich erst einmal aufgebracht an, was allerdings zu nichts führte, weil er sich auf das Bett gegenüber setzte und mich die restlichen zwölf Stunden anguckte. An Schlaf war da natürlich nicht mehr zu denken.
Davon abgesehen machte ich allerdings keine negativen Erfahrungen. Dennoch würde ich nicht empfehlen, als Frau alleine als Backpacker durch Indien zu reisen. Es ist möglich, aber ich empfand es als sehr mühsam.
Mühsam, aber wunderschön
Irgendwie sind die Worte „mühsam“ und „anstrengend“ immer die ersten Adjektive, die mir einfallen, wenn ich an Indien denke. Aber Indien ist auch wunderschön und absolut sehenswert. Von Mumbai aus flog ich nach Jaipur und besichtigte dort unter anderem den beeindruckenden Palast der Winde aus rosafarbenem und rotem Sandstein.
Danach ging es in den kleinen Ort Jaisalmer am Rande der Thar-Wüste. Von dort aus ritt ich gemeinsam mit indischen Guides und drei Südkoreanern auf Kamelen Richtung pakistanische Grenze. Bei 40 Grad in der prallen Sonne nur bedingt toll. Vor allem sind Kamele meines Erachtens unglaublich unbequem 🙂
Als wir an unserem Lagerplatz für die Nacht ankamen, gerieten wir in einen Sandsturm, der sich – als wir alle vollständig mit Sand bedeckt waren – in einen Regenguss verwandelte. Wir kauerten also jeder für sich schlammbedeckt in der Hocke auf dem Boden, den Kopf unter den Armen vergraben und warteten, bis das Ganze vorbei war. Einen Unterschlupf gab es mitten in der Wüste natürlich nicht.
Wechselklamotten hatten wir auch nicht dabei, also band ich meinen Turban als Rock um die Hüfte, um meine Hose in der Zwischenzeit auf einer Düne zu trocknen. In dem Moment hätte ich auch nichts dagegen gehabt, wenn ein Auto aufgetaucht wäre und mich mit zurück in den Ort genommen hätte. War aber leider nicht der Fall 🙂 Also schliefen wir in der Wüste unter dem Sternenhimmel und ritten am nächsten Tag zurück. Es war dennoch ein tolles Erlebnis.
Tadj Mahal bei Sonnenaufgang
Von Jaisalmer fuhr ich mit dem Bus nach Jodhpur, das mit rund einer Million Einwohner die zweitgrößte Stadt in Rajasthan ist. Aufgrund der Farbe ihrer Häuser wird sie auch die „blaue Stadt“ genannt. Jodhpur fand ich großartig! Dort gibt es übrigens den legendären „Omelette Man“, der auch in der Backpacker-Bibel Lonely Planet aufgeführt wird und pro Tag 2.000 Eier verkauft. Insgesamt aß ich dort dreimal ein ziemlich geiles Masala-Cheese-Omelett.
Anschließend nahm ich den Zug nach Agra zum wunder-wunderschönen Taj Mahal. Für mich ist es das schönste Bauwerk der Welt – und definitiv eine Reise wert. Um sechs Uhr morgens hatte ich dieses beeindruckende Mausoleum quasi ganz für mich alleine, bevor eine Stunde später die Busse mit Massen an Touristen anrollten.
Da machte ich mich dann lieber auf den Weg zu dem Roten Fort von Agra, in dem ich nach meiner Besichtigung länger den Ausgang suchte und so auf Antoine aus Frankreich stieß, der sich in dem Gemäuer ebenfalls hoffnungslos verirrt hatte und auch nicht mehr raus fand.
Gemeinsam liefen wir dann durch Zufall meinen neuen koreanischen Freunden über den Weg und gingen abends gemeinsam Pizza essen.
Mit Soo, Hanjung und Kim aus Korea reiste ich dann weiter nach Varanasi, einer der ältesten Städte Indiens und die heiligste Stadt im Hinduismus. Varanasi liegt direkt am Ganges und hat mir persönlich überhaupt nicht gefallen. Alle Hostels schließen um 22 Uhr ihre Türen, weil es dann zu gefährlich ist, draußen herumzulaufen. Am Ganges werden Leichen verbrannt und der Rest dann in den Fluss geworfen.
Auf unserer Bootstour schwamm deshalb die ein oder andere Leiche an uns vorbei und auf dem Weg zum Supermarkt stolperten wir über einen knöchernen Schädel. Zu dem Zeitpunkt meiner Reise wunderte oder überraschte mich allerdings gar nichts mehr. Man nimmt es wie es kommt, denn man hat gar nicht die Energie, sich ständig aus der Bahn werfen zu lassen.
Meine Reise endete in der indischen Hauptstadt Delhi, die mir überraschend gut gefiel. Überraschend deshalb, weil ich auf der Reise viel Negatives von Backpackern gehört hatte, die dort mit ihrer Tour angefangen haben. Ich hingegen fand es großartig.
Vielleicht hatte ich mich inzwischen auch einfach in die Reise eingegroovt. Ich kannte die tatsächlichen Preise für die Rikschafahrten, einen Lassi oder eine Flasche Wasser, hatte mich an das Kopfschütteln gewöhnt, das aber „Ja“ bedeutete und hatte auch ein besseres Gefühl dafür bekommen, wer mir helfen wollte und wer nicht.
Trotzdem: Ohne die Südkoreaner hätte die Reise nur halb so viel Spaß gemacht. Mir zuliebe besuchten wir in Varanasi eine „German Bakery“, wir nahmen gemeinsam an einer Yogastunde teil und lachten uns gegenseitig aus und wir gingen ins Kino, um Harry Potter anzugucken. Dort schliefen wir allerdings in den superbequemen Kinosesseln ein, weil Indien einfach müde macht.
Einige Jahre später war ich nochmal in Indien, wieder in Jodhpur und in Mumbai, diesmal beruflich. Ich hatte drei Jungs an meiner Seite, wir haben in Hotels gewohnt und hatten einen Fahrer, der uns im klimatisierten Van von A nach B brachte. Das war um Längen entspannter. Viel wohler habe ich mich trotzdem nicht gefühlt.
Der Kontrast zu der vor Ort herrschenden Armut ist viel krasser, wenn man nach einem Aufenthalt im Dharavi-Slum in Mumbai zurück in sein Hotel mit Pool fährt. Ich bekomme da angesichts der sozialen Ungerechtigkeit einfach ein schlechtes Gewissen. Da schlafe ich lieber in meinem Wandschrank-Zimmer.
Für den Einstieg ins Backpacker-Dasein oder ins Alleine-Reisen würde ich Indien nicht empfehlen. Vielleicht startet man besser mit „einfacheren“ Ländern wie Thailand. Mich hat es auch dann noch überrollt – aber das ist vielleicht auch einfach das Faszinierende an Indien. Man kann sich nicht darauf vorbereiten. Man muss es einfach machen!